Miriam Sachs

Ich habe lange meine Liebe zum Kino  (aufgewachsen bin ich in einem Haus voller Kinogeschichte, alten Projektoren und Filmplakaten an den Wänden, einem Schneideraum im Keller, aus dem seltsame Geräusche kamen (Tonspuren spielten sich vorwärts und rückwärts ab, sollten dem Bild angepasst werden und klangen je nach Abspieltempo wie die Dialoge von Zeichentrickmäusen oder Ungeheuern aus der Tiefe. Wenn man eintrat in diese Unterwelt, ringelten sich 35-mm-Flimstreifen sich am Boden wie Schlangen.  Film war für mich lange Zeit etwas sehr analoges, Mechanisches – ein in sich geschlossenes System, abspulbar und nur aufzubrechen am 35-mm-Schneidetisch im Keller (der aber auch zuweilen verschlossen war). EIn Schlüsselerlebnis war für mich Woody Allens “The Purple Rose of Cairo” zu sehen, indem eine Film-Figur den Sprung von der Leinwand schafft und in der Wirklichkeit landet – ja mehr noch: auch die Frau im Publikum in den Film selbst entführt. Das Medium Film wurde durchlässig. “In den Film zu gelangen” ist seitdem mein Traum. Als Schauspielerin in Filmen mitzuspielen, ist eine selten befriedigende Notlösung; ich habe es eine Weile getan, aber das Theater schien die zauberhaftere Alternative zu sein. Zumindest könnte in jedem Augenblick etwas unvorhergesehens passieren.

VOM PUPPENTHEATER zu FILM RISS THEATER

Wir begannen als ENSEMBLE PUPPET-HOLDING, Stücke wie HAMLET und KÄTHCHEN VON HEILBRONN mit Händen und Füßen, Puppen und Menschen, zuweilen auch Haushaltsgeräten im Wechsel zu spielen und so den großartigen Texten eine Alltagspoetischen Minimalismus mitzugeben. Im Laufe der Zeit, besonders durch die Zusammenarbeit mit der Neuköllner Oper wurde die Arbeit mit Filmelementen immer wichtiger und schien die Puppen ein wenig aus unseren Stücken zu verdrängen. Im Grunde ist der Umgang mit Objekten, die interaktiv in die Inszenierung integriert werden nichts anderes als Trick-Collage. Immer noch geht es um Klassiker, die Grenzen zwischen den Genres sind fließend oder sogar gewollt brüchig. Besonders durch Ihre Arbeiten im Kleistjahr 2011, als wir durch eine Förderung der Bundeskulturstiftung eine interdisziplinäre Veranstaltungsreihe („NEUNMALKLEIST“) kuratierten, entstanden Zusammenarbeiten mit Wissenschaftlern, besonders aus dem Bereich der Psychiatrie.

Unsere Inszenierungen wurden Laborabende, die zwar weitgehend inszeniert waren, viele theatersinnliche Elemente wie Live-Musik enthielten, sehr präzise in Bild, Ton und Spiel ausgetüfftelt waren, aber an einem bestimmten Punkt plötzlich das Format wechselten und Gäste aus der Wissenschaft in die Inszenierung versetzten, ins Gespräch verwickelten und ins Bühnengeschehen.  Hier entstand etwas was präzise Inszenierung mit Improvisation verband. Eingespielte Theatralik vor der Routine bewahrte und lebendig erhielt.

Die Idee, dass Theater nicht bedeuten muss, die 1001. Version einer Geschichte zu zeigen, sondern: eine Lesart anzubieten, der noch am selben Abende eine weitere ganz andere hinzugefügt wird, ist uns wichtig. So ist jeder Abend eine neue Forschungsreise.  Das literarische Material wird aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Man sieht es als unvoreingenommener Zuschauer ohne Vorkenntnis (immer noch im Sinne der Lust an „maßloser Unterhaltung“), als Spieler, der mal assoziativ seine persönlichen Bilder zum alten Text dazugibt, mal als forschender Laborant. So wird man in einen fremden Theaterkosmos geführt, der zuweilen Versatzstücke enthält, die jeder kennt, der zeitlos ist, weil Fragmente und Assoziationen jenseits einer bestimmten Epoche in ihm auftauchen und wieder verschwinden – so wie die realen Gäste aus einer anderen Welt wie „echte“ Psychiater, die auf ihre eigene Weise vor dem Rätsel der Kleistschen oder Kafkaschen Figueren stehen. Oder der antiken Mythologie: Den antiken Helden und Kriegsheimkehrer Odysseus hatten wir beispielsweise  auf Posttraumatische Belastungsstörung untersuchen zu lassen von Prof. Hinderk M. Emrich (Psychiater und Philosoph), Prof. Dieter Naber (Psychiater), Dr. Franziska Henningsen (Psychoanalytikerin) und Dr. Wolf Kemper (Soziologe).

FILM RISS THEATER versteht sich nicht nur als Schnittstelle zwischen Theater und Film, sondern interessiertt sich im wörtlichsten Sinne für Stoffe, die von psychischen Disfunktionen handeln. Ob es die Figuren Kleists sind, die mitunter ihre hellsten Momente im Schlaf zu haben scheinen, im Nervenfieber Oratorien dirigieren, sich im Traum verloben, im Halbschlaf verlieben, oder in der Ohnmacht geschwängert werden, oder sich nicht mehr daran erinnern können, ihren Geliebten versehentlich aufgegessen zu haben – oder ob es die Ideenwelt Franz Kafkas ist, die zuweilen albtraumhaft scheint, aber doch von einer ganz klaren Liebe zum Leben und Menschlichkeit geprägt ist.

mehr über die anderen Disziplinen, in denen wir unterwegs sind:

als Autorin: http://www.miriamsachs.wordpress.com

als bildende Künstlerin und “Schirft-Stellerin” www.geschriebenegeschenke.wordpress.com