2011, im Kleistjahr, hieß FILM RISS THEATER noch Ensemble Puppet-Holding. In Kooperation mit der Theaterkapelle und der Heinrich Böll Stiftung widmeten wir uns das ganze Jahr über dem Thema Heinrich von Kleist in mehreren Inszenierungen, Auslandsproduktionen (Kaliningrad, Thun, Montepulciano, Wien) und einer neunteiligen interdisziplinären Veranstaltungsreihe in Berlin: NEUNMALKLEIST. gefördert von der Kulturstiftung des Bundes, dem Berliner Senat, der Hamburger Kulturstiftung, dem Kulturamt Friedrichshain-Kreuzberg und Lichtenberg.
Im Rahmen der Themenabende, aber auch zuweilen integriert in die Inszenierungen, entstand viel Filmmaterial, auch mehrere Kleist-Trickfilme.
http://film-riss-theater.de/kleist-filme/
Inszenierungen/ AUSWAHL:
KLEIST. KRIEG. AUSNAHMEZUSTAND [Ausschnitte ab Minute 4:47]
mit Magdalena Scharler, Eva van Heijningen, Miriam Sachs, Leo Solter, Christian Bormann, Thomas Monn; Regie, Fassung: Miriam Sachs, Choreographie: Silke WIegand; Gast: Prof. Wolf Kittler Voraufführunge: Theaterkapelle, Premiere: Heinrich Böll Stiftung
KLEIST IN MEINER KÜCHE, Monolog für zwei Personen und einen Fernseher
in Kooperation mit Theater JA.Komm, Wien; Uraufführung: Theater Pygmalion, Wien mit Miriam Sachs und Leo Solter; Regie: Eva Jankovsky
KÜSSE MEIN BILD oder WILHELMINE KRIEGT POST
mit Birte Rüster (Wilhelmine) und Leo Solter (Kleist), Fritzi Haberlandt (Stimme des Teddybären), Leitung: Miriam Sachs, so wie wechselnden Gastexperten: Alexander Weigel (DT), Anna Dieterich, Almut Koch (Frieda Frauenzentrum), Gabriele Gelinek (Heinrich von Kleist Gesellschaft), Prof. Annett Lüdecke (Universität Bern), Prof. Dieter Naber (Leiter der Psychiatrie des UKE)
http://youtu.be/aQwnQOrhWUQ
CÄCILIA BILDERSTURM III nach Kleists Erzählung “Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik”
Anlässlich des Todestages Heinrich von Kleists (21.11.) zeigt die Theaterkapelle Boxhagener Str. 99 / 10245 Berlin zwei Produktionen der 2011 von Miriam Sachs kuratierten Reihe NEUNMALKLEIST, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes, dem Berliner Senat und der Rudolf Augstein Stiftung.
Kleists letzte Erzählung „Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik“ wird zu einem kurzen aber intensiven Spektakel umgesetzt von der Regisseurin und Filmemacherin Miriam Sachs. Im Original spielt die Geschichte im Mittlelalter zur Zeit der Bilderstürmerei: vier Brüder wollen ein Kloster dem Erdboden gleich machen. Die Nonnen treten den Attentätern mutig entgegen und wollen mit der Aufführung eines sakralen Werkes ein Zeichen setzen. Doch das Kloster hat nicht nur mit den Bilderstürmern zu kämpfen, auch die Aufführung des Werks ist gefährdet durch die Krankheit der Kapellmeisterin, die eigentlich bewußtlos im Fiebert liegt – und schließlich dennoch gerade zur rechten Zeit die Musik auf wundersame Weise dirigiert und die Brüder von ihren Gewalttaten abhält: von der Gewalt der Musik wie vom Blitz getroffen verwandeln sich die Bilderstürmer zu religiösen Fanatikern. Fluch oder heilsamer Segen?
Der Komponist Giorgos Kyriakakis ließ sich von alten sakralen Werken inspirieren und komponierte ein siebenstimmiges Gesangswerk von ungeheuerer Schönheit (Gesang: Angelina Kartsaki). Das GLORIA IN EXCELSIS und das SALVE REGINA (zweistimmig) kommen in Kleists Erzählung direkt vor, sie bekehren die Bilderstürmer, bzw. schlagen sie mit Wahnsinn. Auf der anderen Seite gibt es die Live-Blechblas-Musik der Rebellengruppe. Miriam Sachs inszenierte den Bildersturm als Live-Performance. Der Zuschauer ist sozusagen mit dabei und Augenzeuge der Bedrohung und des Wunders.
Bereits 2011 wurde CÄCILIA / BILDERSTURM beim Cantiere internazionale d’arte in Montepulciano uraufgeführt in einer kleinen Kirche – im katholischen Italien Berlusconis hatte Kleists rätselhafte Geschichte viel Brisanz. Kulturprunk und päpstliche PR vs. Schlicht und ergreifende Heiligkeit. Im Rahmen der NEUNMALKLEISTREIHE wurde CÄCILIA im Oktober für eine Aufführung in der Heinrich-Böll-Stiftung adaptiert. Kleist wurde zurück-“übersetz“ aus dem Italienischen. Hier ging es um die Manipulation der Medien und paranoische Attacken. Die aller Sinne beraubten Attentäter wurden sogar von einem echten Psychiater (Prof. Dieter Naber, Leiter der Psychiatrie des UKE; Hamburg) begutachtet. Auch er stand vor einem Rätsel.
Die Wiederaufnahme in der Theaterkapelle ist die konsequente Rückkehr zu einem Ort, an dem im Grunde alles begann: hier entstanden Filmaufnahmen, die Musik wurde ausprobiert und choreographiert. Die Theaterkapelle, die immer noch als Ausseg-nungshalle in Betrieb ist, ist ein Raum, in dem Leben und Tod, Theater-Wahnsinn und Spiritualität aufeinandertreffen.
KULTURPOLITISCHES GLEICHNIS:
Momentan ist diese Spielstätte mehr als bedroht. Die Gelder wurden gestrichen, der Betrieb ist kaum am Laufen zu halten. Hier geht es der Intendantin ganz ähnlich wie der Äbtissin in Kleists Erzählung, die Mitarbeiter siechen dahin. Man stirbt einen langsamen Herzblut-Tod.
Miriam Sachs passte das Stück dieser Situation neu an: Diesmal sind die Bilderstürmer radikale „Gnadentöter“, die die Kapelle mit in einen erweiterten Kultur-Suizid reißen. Durchaus ein Akt im Geiste Heinrich von Kleists. Diese konkrete Situation ist zwar ein konkreter und aktueller Zugriff auf Kleists Erzählung, alles andere jedoch bleibt zeitlos und vorallem in der Rätselhaftigkeit, die diese Geschichte ausmacht, bestehen. Die Sprache Kleists steht im Vordergrund. Hinzukommt die Musik Giorgos Kyriakakis: Einerseits ganz körperlos, heilig, schlicht und ergreifend und andererseits: stark, laut und live performed durch die Bildersturmtruppe:
Mit: Jürgen Ruoff (Percussion), Angelina Kartsaki (singende Säge, Trompete), Giorgos Kyriakakis (Euphonium), Leo Solter (Klingende Axt). Erzählerin/Journalistin: Miriam Sachs, Psychiater: Prof. Dieter Naber, Äbtissin: Christina Emig-Könning, Klostervogt: Holger Duhn
Dauer: 1h
Beginn 20 Uhr im Kellergewölbe der Theaterkapelle, dann geht’s im Kapellenraum weiter. – vorab:
BRIEFE AUS KLEISTs U-BOOT
Ab 19:00 kann man sich in einer begehbaren multimedialen Installation mit einem Kleistschen Projekt vertraut machen, das leider nie umgesetzt wurde: dem Hydrostat.
Während seiner Königsberger Zeit wollte Kleist mit seinen Freunden Pfuel und Rühle ein U-Boot entwerfen. Nur eine Spinnerei? Berechnungen wurden jedenfalls im Detail gemacht; offensichtlich scheiterte das Unternehmen daran, dass nicht alle drei Freunde gleichermaßen begeistert mitmachten. Erhalten ist jedoch ein Brief Kleists an seinen Freund Pfuel. Selbst wenn man die physikalischen Fachbegriffe und den mathematischen Zahlenwust nicht versteht, ist dieser Brief ein hinreißendes Dokument sowohl für Kleists Interesse an ungewöhn-lichen Projekten, naturwissenschaftlichen Innovationen, als auch für sehr viel menschlichen Frust zwischen den Zeilen. Oder gar die Liebe Kleists zu seinem Freund, der nachdem er diese bereits zurückgewiesen hat, nun auch das gemeinsame Abtauchen nicht recht ernst nimmt?
Wir lassen den verletzten Projektemacher Kleist alleine abtauchen und zu (Meeres)Grunde gehen „120 Fuß tief unter dem Wasser“.
Die Stimmen von Leo Solter, Thomas Monn und Otto Sander sind im Briefwechsel zu hören, ihr Klang verschwimmt zuweilen, man kann sich selbst in die virtuelle Tauchglocke begeben und neben Kleist auf den Meeresgrund tauchen. Und dann sind da noch die kleinen Trick-Collage-Bilder, die die drei Freund am Strand bei den Bauarbeiten des Hydrostaten zeigen. Miriam Sachs setzt das nie verwirklichte Projekt auf ihre assoziative Weise neu zusammen.
Feedback:
KLEIST. KÄTHCHEN. HIMMEL VON SCHWABEN
Trailer mit Bildern und Ausschnitten zur Inszenierung